Frag doch Dr. Mint! Folge 7: Nadelverschleiß

Frag doch Dr. Mint! Folge 7: Nadelverschleiß

„Wie oft sollte ich die Nadel meines Plattenspielers wechseln?“
Timo Lischick

Eins sollte klar sein: Die Abtastnadel ist ein Verschleißteil. So wie man bei einem Auto Reifen oder Bremsbeläge wechselt, muss auch die Nadel hin und wieder ausgetauscht werden. Dabei richtet sich die Regelmäßigkeit vor allem nach der Nutzung, und auf die Frage, wann man eine Nadel denn wechseln sollte, kann es nur die eindeutige Antwort geben: Es kommt darauf an. Hersteller von Abtastsystemen und Nadeln sowie einschlägige HiFi-Expertenforen geben meist einen Richtwert von 400 bis 2000 Stunden Spielzeit an, was prinzipiell nicht falsch ist, aber auch kaum eine Hilfe, weil sich daraus je nach Nutzung eine Spanne von einem Jahr bis zu einem halben Jahrzehnt ergeben kann.

Ich würde daher wie bei vielen Fragen zum Thema Vinyl lieber dem menschlichen Ohr die Entscheidung überlassen und antworten: eine Nadel sollte man wechseln, wenn man die Abnutzung hört. Puristen unter den Lesern werden jetzt vermutlich aufschreien und mit einigem Recht einwerfen, dass es dann bereits zu spät sein kann. Der Einwand ist durchaus berechtigt, kann eine defekte und abgenutzte Nadel der Platte doch zumindest theoretisch Schaden zufügen. Vor dem Hintergrund, dass aber jedes Abspielen die Rillenflanken einer Platte bearbeitet, abschleift und physikalisch schädigt, ist es letztlich eine philosophische Frage, inwieweit man sich damit abfindet, dass Vinyl durchs Abspielen immer schlechter wird. Die audiophilen Puristen und entsprechend betuchten Hörer werden den Verschleiß proportional zu ihrer Suche nach dem ultimativen Klangerlebnis möglichst gering halten und mit Nassläufer-Systemen, Mikroskopen oder festen Wechselintervallen vor merkbarer Abnutzung der Nadel experimentieren. Für Otto Normalverbraucher gilt: Der Verschleiß von Schallplatten wird oft übertrieben dargestellt. Eine Platte kann einige hundert Male abgespielt werden, bevor der Verschleiß unter normalen Bedingungen hörbar wird.

Warum und wie nutzt sich eine Nadel überhaupt ab? Die Nadel ist in der Regel ein Diamant, der an einem Metallkegel angebracht ist. Wenn nun diese Nadel durch die Rille marschiert, kommt es zu Reibung und Schliff an den Rillenflanken. Abhängig von der Güte des Vinyls, der Pressqualität und der Sauberkeit der Platte können diese Schleifeffekte mal höher und mal niedriger sein. So begünstigt Staub, der wie kleine Schleifpartikel wirkt, die Abnutzung. Auch kleine Pressfehler, die nicht mal hörbar sein müssen, können diesen Effekt haben. Farbiges Vinyl, das kein Graphit enthält, wie etwa schwarzes Vinyl begünstigt ebenfalls einen höheren Verschleiß. Nutzt sich die Nadel ab, ergeben sich Schliffflächen, deren Kanten die Rille selbst beschädigen können, und bestimmte Frequenzen werden überzeichnet wiedergegeben oder verzerrt. S-Laute klingen etwa überspitzt. Bei fortschreitender Abnutzung wird die Nadel dann keine ausreichende Führung mehr bekommen und über die Platte springen. Dann ist es höchste Zeit für einen Wechsel.

Entsprechend dem verbauten System gibt es im Internet eine Vielzahl von Anbietern für Ersatznadeln. Der Wechsel selbst erfolgt meist, indem man die Nadel nach vorne herauszieht oder sie nach unten klappt. Bei einigen System ist dafür eine Arretierung zu lösen, andere enthalten nur einen kleinen Puffer, der als Widerstand zu überwinden ist. Es gibt Systeme, für die es verschiedene Nadeln mit unterschiedlichem Schliff zur Auswahl gibt. Die Frage nach dem Schliff richtet sich wieder nach der Nutzung. Der elliptische Schliff ist dem sphärischen (kugelförmigen) aus physikalischen Gründen klanglich überlegen, da er dem ursprünglichen Lauf des Schneidstichels näherkommt, ohne ihn zu reproduzieren (was auch nicht gewünscht wäre). Kurz: Die Abtastung ist immer und grundsätzlich mit Fehlern behaftet, weil sie einen Kompromiss aus möglichst exaktem Nachempfinden des ursprünglichen Schnitts der Platte und möglichst geringer Schleifwirkung darstellt. Sphärisch geschliffene Nadeln sind in der Regel günstiger, tasten aber die Flanken der Rille minimal versetzt ab, was man sich mit einer Murmel, die durch eine Halbröhre rollt, bildlich vorstellen kann: Die Rundung bedingt, dass sich die Murmel in einer Linkskurve auf der rechten Seite etwas weiter vorn an die Wand anlegt. Elliptisch geschliffene Nadeln ermöglichen eine exaktere Abtastung, da sie sowohl die rechte als auch linke Rillenflanke exakt parallel abtasten.

Nach dem Nadelwechsel empfiehlt sich eine Justage der Auflagekraft des Tonarms mit einer Tonarmwaage sowie des Systems selbst, so dass die Nadel leichtfüßig durch die Mitte der Rille läuft. Die Einstellung des Antiskating erfolgt am besten mit einer blanken Platte (ohne Rillen), indem man den Tonarm auf die Mitte der Seite setzt und das Antsikating so einstellt, dass die Nadel weder nach innen noch außen „schwimmt“. Diese neue Justage ist nötige, da sich das Tonarmverhalten mit der alten Nadel unter Umständen bereits verändert hat. Bei der Auflagekraft sollte man unbedingt den Herstellerangaben folgen, weil sowohl zu wenig als auch zu viel Auflagedruck Platten und Nadel schädigen können.

Aus MINT Nr. 7 / 29. September 2016

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